Die Bild-Text-Schere

Ausschnitt aus der ZDF-Sendung „Wie informiert das Fernsehen”

Ein leitender Redakteur vom Tages-Anzeiger Zürich schrieb mir:

… bei uns in der Schweiz – auf allen Redaktionen, auf denen ich tätig war, und auch an den Journalistenschulen – fällt sehr oft der Begriff „Bild-Text-Schere”. Da habe ich mal gegoogelt, woher der Begriff eigentlich stammt und wer den erfunden hat. Und ich habe mich sehr gefreut, als ich Ihren Namen las …

Die Theorie der Bild-Text-Schere ist zu einem allgemeinen Medienkriterium geworden. Weniger bekannt ist, dass diese Theorie auf empirischer Wirkungsforschung beruht.

Im Rahmen meines Forschungsprojektes „Wie informiert das Fernsehen?“ habe ich mit Publikum getestet, wie Informationen verstanden und behalten werden. Hier nur eine reduzierte Darstellung des aufwändigen Test-Verfahrens.

In einem Laborexperiment habe ich dem Publikum einen längeren ZDF-Film zum irischen Konflikt gezeigt. Im Film gibt eine Sequenz Auskunft über die Ziele der streitenden Parteien. Getestet wurde, wie diese Information verstanden und behalten wurde. Hier das Protokoll der originalen Film-Sequenz:

Die komplizierten Sätze über Ziele von Protestanten und Katholiken wurden nur zu 20% verstanden und behalten.

In einem zweiten Experiment mit einem anderen, aber ähnlich zusammengesetzten Publikum wurde der gleiche anspruchsvolle Text nochmal getestet. Allerdings mit grafischen Illustrationen. Hier das Protokoll der veränderten Film-Sequenz:

Die gleichen komplizierten Sätze wurden jetzt zu 80% verstanden und behalten. Womit der Beweis erbracht war, dass selbst schwierigste Texte effektiv vermittelt werden können – abhängig von der Art der Bildgestaltung.

… Wembers mit hervorragenden Grafiken arbeitender Film geht auf die auseinanderklaffende Schere von Bild und Text ein. Sein Ergebnis bestätigt: Je weiter Bild und Text auseinanderstreben, desto weniger wird die im Text vermittelte und oft nur durch den Text vermittelbare Information vom Zuschauer verstanden. Verzichtet man aber bei einem schwierigen Text schließlich einmal ganz auf abgefilmte Bilder und verdeutlicht das Gesagte mit einfachen, aber einprägsamen Grafiken, erreicht der Informationsgrad der Zuschauer seinen höchsten Stand …

Süddeutsche Zeitung

…das Verhältnis von Text und Bild analysierend, verdeutlicht Wember die These, dass die eigentliche Information … nicht durch Scheinverdoppelung gegeben werden kann. Wer also das Sein hinter dem Schein zeigen möchte, die ökonomischen, historischen, sozialen Fundamente eines Tatbestandes, kann sich nur in Ausnahmefällen ans Sichtbare halten. Im Allgemeinen wird es anderer Techniken bedürfen, (des Schaubildes, des Lehrfilms), um die Faktoren hinter den Fakten zu zeigen …

Die Zeit

… dieser einzigartige Indizienbeweis kam gerade zur rechten Zeit. Wer viele Jahre hindurch die Informationssendungen … prüfte, sah sich immer wieder mit Ärgernissen konfrontiert: Vor allem das unerträgliche Auseinanderklaffen von Bild und Text, die Zersplitterung der Aufmerksamkeit tötet den Nerv … Wie diese scheinbar nicht auszumerzenden Fehler zu erklären waren, blieb der Spekulation überlassen … Bis zum 11. Dezember 1975 …

Das Parlament

… wenn Bild und Text krass auseinanderklaffen, bleibt die Aufmerksamkeit jedes Zuschauers hoffnungslos auf der Strecke. Bei der natürlich begrenzten Wahrnehmungsfähigkeit des Fernsehen-Publikums verkommt der Text zur „plappernden Geräuschkulisse” oder „das Sehen zum Glotzen” oder beides …

Der Spiegel