Atommacho
Kurzfilm über Atomstrom und Macho-Verhalten, Atlas-Film 1985, 20′
1. Vorgeschichte
Nach dem Skandal, den mein Film Vergiftet oder arbeitslos? 1982 zwischen dem ZDF und der Chemischen Industrie ausgelöst hatte, war eine weitere Kooperation mit dem ZDF völlig unmöglich. Mein neues Forschungsprojekt wurde von der Hochschule der Künste Berlin gefördert. Die finanziellen Möglichkeiten waren nicht ganz so luxuriös wie beim ZDF und verhalfen dem Gestaltungskriterium „Small is beautiful” zu praktischer Anwendung. An der Realisierung des Projektes waren im Rahmen eines Forschungsseminars meine Studentinnen und Studenten engagiert beteiligt. Atlas-Film hat Atommacho als Videocassette vertrieben. Der Film wurde mit dem Karl-Hofer-Preis ausgezeichnet für die „Synthese von Kunst und Wissenschaft”.
2. Konzept
Die Frage der Forschung war dieselbe wie bei meinen bisherigen Arbeiten: Wie kann filmische Informations-Vermittlung auf dem Bildschirm so optimiert werden, dass für ein breites Publikum komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge verständlich werden? Für diesen Film habe ich eine spezielle Methode entwickelt, die bisher in der Vermittlung gesellschaftspolitischer Themen selten eingesetzt wurde: Satirische Provokation, kombiniert mit ordinärer Stammtischlogik. Inhaltlich sollte die Verknüpfung des Themas Atomstrom mit einem machohaften Frauenbild irritieren und Fragen nach einem Zusammenhang herausfordern. Die Zuspitzung von logischen Widersprüchen sollte ganz gezielt Diskussionen auslösen.
3. Optische Argumentation
Für den ZDF-Film Vergiftet oder arbeitslos? hatte ich eine neue Bildsprache entwickelt, um komplexe Zusammenhänge zu visualisieren. Konstruierte Symbole sollten Bedeutungen transportieren. Diese Modelle waren zwar klappernd, zischend und quietschend sehr anschaulich und auch einprägsam – aber es waren eben doch Modelle, die nur für diesen Film gebaut worden sind.
Im Film Atommacho habe ich auch mit Symbolen gearbeitet, um optisch zu argumentieren. Aber verwendet wurden ganz banale Alltagsgegenstände, die jeder kennt und die täglich benutzt werden. Der praktische Gebrauchswert dieser Gegenstände wurde im Film neu interpretiert mit inhaltlichen Analogien zur Atomproblematik und zum Frauenbild eines Machos.
Eine Zielsetzung dieser Gestaltung war die Spekulation, dass für ein Publikum, das den Film gesehen hat, im Alltag die Benutzung der gezeigten Gebrauchsgegenstände die Erinnerung beflügelt an das naive Geschwätz über Atomstrom und verächtliche Machosprüche.
4. Wirkung des Films
Der Film wurde viel eingesetzt in der Arbeit von Umweltgruppen, in schulischer Bildungsarbeit und in der medienkundlichen Ausbildung. Von etlichen Einsätzen bekam ich die Rückmeldung, dass der Film beim Publikum immer intensive Diskussionen auslöste, oft umstritten war und teilweise vehement abgelehnt wurde. Aber nie wurde er als langweilig oder uninteressant erlebt. Die Veranstalter schwärmten, dass durch den Film intensive Diskussionen mit dem Publikum garantiert seien. Bis heute wird der Film in verschiedenen Arbeitsgruppen eingesetzt.
5. Filmausschnitte
Mit einigen exemplarischen Sequenzen soll die Montagetechnik des Films demonstriert werden.
An den Beispielen kann analysiert werden, ob die Satiremethode funktioniert.
A. Feuerzeug, Zigaretten
B. Bleistift, Streichhölzer
C. Edelstahlstift, Holzstift
D. Stiftstruktur
E. Streichhölzer
F. Zigarettenasche
G. Salzstreuer
H. Teeglas, Teelöffel
J. Kleinkram
6. Gutachten
Atlas-Film hat den Film Atommacho als Videocassette zusammen mit einem Begleitheft vertrieben. Für diese Broschüre hat die Firma ein Gutachten bei Wolf Otto Preuße in Auftrag gegeben und veröffentlicht. (Duisburg 1985, ISBN 3-88932-926-8) Aus dem umfangreichen Bericht dokumentiere ich hier die wichtigsten Aspekte in einer Zusammenfassung.
Ästhetik der Filmbilder
Wember entwickelt mit minimalen Mitteln eine Bildgrammatik, deren Syntax äußerst einfach ist und zu einer starken optischen Verdichtung führt. Eine Zigarette im Film wird zum Brennstab. Wember schafft keine neuen Symbole. Dinge des Alltags bekommen durch die Konnotation eine neue Bedeutung. Die Bilder schließen an Alltagserfahrungen an, die jedem Rezipient geläufig sind. Der sparsame Einsatz der Film-Gegenstände führt zu einer optischen Prägnanz, die sich einem bloßen Bilderkonsum entgegenstellt. Diese optische Reduktion zum Zweck einer außerordentlichen Konzentration ist gegen die grassierende Bilderflut gerichtet. Die beim Fernsehen übliche Montagetechnik ist hier zugunsten einer ruhigen Kameraführung aufgegeben. Diese prägnante Bildökonomie macht es möglich, dass der Rezipient auf die Bilder wirklich noch achtet!
Argumentation des Textes
Der Sprecher spult zur eigenen Versicherung seine Reflexionen ab. Dies entspricht der Alltagserfahrung, wo man häufig genug in Monologform Meinungen und Urteile aufgedrängt bekommt. Im Film bietet der Sprecher nur eine Pseudo-Diskussion an. Hier denunziert Wember zutreffend einen pathologischen Zug unserer Gesellschaft, der vom Monolog geprägt ist. Im Film wird der Schauspieler so gezeigt, dass wir niemals das Gesicht des Darstellers zu sehen bekommen. Der Zuschauer soll die Möglichkeit haben, sich sein Gegenüber selber vorzustellen, sich zu erinnern an Machotypen, die einem mit ihren unreflektierten und reaktionären Vorstellungen die Ohren vollschwätzen. Der Film zeigt eine absurde Verkettung von Argumenten, die selbst in dieser logischen Verquastheit von der Wirklichkeit nur in geringen Graden abweicht. Falsches Bewusstsein in den Köpfen der Mitmenschen aufzustöbern und es als solches zu denunzieren und durch die Kraft der Bilder zu zerstören, ist dem Film gelungen.
Kritik Stilbruch
Wember versucht strukturell, Bild und Wort in einem filmästhetischen Gleichgewicht zu halten. Dies ist aber bei der Darstellung und Visualisierung der Machismus-Dimension nicht geglückt, sodass es hier sowohl thematisch als auch formal zu einem Stilbruch kommt. Im Monolog ist zwar das Macho-Thema repräsentiert, aber visuell wird es nur partiell und im Vergleich zur Atomenergie-Problematik nicht hinreichend dargestellt. Seinem Kunst-Film, der polit-ökonomische und brisante gesellschaftliche Strukturen ins Spiel bringt, ist Ästhetizismus anzulasten. Eine gewisse spielerische Verliebtheit ist in die Bilder eingegangen.
7. Presse
Badische Zeitung
Ein Mann, von dem man nicht mehr sieht als die Hände, sitzt in einer Kneipe vor einem Glas Tee. Er unterhält sich mit einem unsichtbaren Gesprächspartner und erklärt ihm, wie das alles so ist mit dem Atomstrom, mit den Frauen, mit der Arbeitslosigkeit. Die Symbole, die dabei Reaktor und Brennstäbe veranschaulichen, sind ein Feuerzeug und vier Zigaretten, und an die Stelle der Endlagerstätte Salzstock tritt ein Salzstreuer. Das Meer wird schließlich durch das Glas Tee repräsentiert. Was sich dann abspielt, regt die Phantasie des Zuschauers in der Tat mehr an, als eine ‚Studium-Generale-Vorlesung‘ zum Thema Atomkraft. Denn schon bald meint man, statt der Symbole wirklich Reaktor, Brennstäbe und Meer zu sehen. Die auf den ersten Blick banale Satire auf einen bayerischen Besserwisser gerät am Ende zum todernsten Demonstrationsspiel von Wissenschaft, Technik und Natur.
Fachzeitschrift „Natur“
Ein Mann, der nie ganz ins Bild rückt, sitzt in einer Wirtschaft. Etwas plärrig dudelt im Hintergrund die Kneipenberieselungsmusik. Der Mann, der sich einen Tee bestellt hat, unterhält sich mit seinem Gegenüber. Bayerisches Wirtshausgespräch, das die große Politik und die kleinen Lebensweisheiten enthält. Unter Zuhilfenahme aller Gegenstände, derer er habhaft werden kann, erklärt der Mann, wie das so ist mit dem Atomstrom, den Frauen und der Arbeitslosigkeit. Seine Hände arrangieren die Streichhölzer, den Salzstreuer, die Zigaretten, das Teeglas, den Löffel, um das, was er als seine Erkenntnisse weitergibt, zu unterstreichen. Die Sprache wird bildhaft durch das Arrangement der alltäglichen Gegenstände. Die Kamera verlässt nie den Wirtshaustisch, und dennoch erlebt der Zuschauer eine sehr einleuchtende Illustration von gesellschaftlichen Konflikten. Spielerisch und zugleich sehr direkt werden die Zusammenhänge zwischen Atomstrom, Schreib-Automaten und Arbeitslosigkeit deutlich. Bereits in seinem Film Vergiftet oder arbeitslos? hatte der Professor für audio-visuelle Kommunikation Bernward Wember mit Spielzeug-Modellen politische Ökologie sichtbar gemacht. Komplizierte Zusammenhänge sind selten so entschieden, so einfach und so sinnlich dargestellt worden.
Spektrum Film
Es lohnt schon einmal, sich mit den Formen und Bildern von Filmen auseinanderzusetzen. Neue Formen, neue Bilder aber sind rar. Eines der wenigen Bespiele aus neuerer Zeit ist Bernward Wembers Atommacho. Es ist keine analytisch genau kalkulierter Film, der ein Thema von allen Seiten abklopft, eher eine Gedankensammlung, um eine Diskussion auszulösen. In Biertischgesprächen wird über Atomstrom, über Frauen geredet. Eine Satire ist das, die die scheinbar seltsamsten Dinge und Probleme verbindet. Vom Feuerzeug zum Atomstrom, zu den Schreibautomaten, zur Arbeitslosigkeit von Frauen. Die 24 Minuten dieser kleinen Folge von spitzen Sticheleien gehen wie im Flug vorbei. Die provokative Art erleichtert eine rasche Reaktion des Zuschauers und fördert die Diskussion zum Thema.
Tageszeitung TAZ
Auch Bernward Wember, der sich gern als Vorreiter innovativer Formen lobt, fand mit seinem neuen Film Atommacho nicht den Stein der Weisen. In seinem „Diskussionsanreißer“ lässt er einen Stammtischbruder Tee trinken und mit Streichhölzern herumhantieren (welcher Stammtischbruder trinkt Tee?) und Senf über die Atomkraft von sich geben. Natürlich quasselt der Hauptdarsteller bayrisch. Warum das so ist? „Das mache ich in Anlehnung an Krötz“, meinte der ausgefuchste Prof aus Berlin. Kurz: Der Atommacho wirkt steril und konstruiert.
Süddeutsche Zeitung
Das Spiel mit dem Salzstreuer als Endlagerstädte. Argumentieren gegen die Bilderflut – ein neues Projekt des Medienwissenschaftlers Wember, bekannt durch sein kommunikationswissenschaftliches Standardwerk Wie Informiert das Fernsehen?, zuletzt aber vor allem durch seinen Kampf mit dem ZDF um die Ausstrahlung seines Films Vergiftet oder Arbeitslos?. Wember hat einen neuen Film gedreht. Er ist dieses Mal nicht mit Fernsehmitteln, sondern als Forschungsprojekt finanziert. Bei Vergiftet oder Arbeitslos? warf man ihm bei seiner höchst eindringlichen Methode vor, ausschließlich mit Symbolen und Dialogen Argumentationsketten immer wieder einseitig aufzurollen mit strenger, indoktrinierender Holzhammer-Didaktik. „Mir ist klargeworden, dass es auch andere Formen der Vermittlung von Einsichten gibt“, sagt Wember, „etwa die Satire“. Ergebnis: Der „Atommacho“. Er wurde erstmals beim Europäischen Umweltfilmfestival gezeigt und erhielt bereits den Karl-Hofer-Preis für die „Synthese von Kunst und Wissenschaft“. Anders als bei Vergiftet oder Arbeitslos? werden nicht Sachverhalte eingepaukt, sondern das Weitergrübeln im eigenen Hirn angeregt. Die Frage ist, ob der satirische Effekt nicht an der Oberfläche hängen bleibt, ob man nicht mit dem Lachen über das Salzfass als Salzstock schon aufhört, zu denken. Doch Wember beruft sich auf Vorführungen in Schulklassen, wo Fünfzehnjährige über die Frage, ob ein Streichholz ein geeignetes Sekretärinnensymbol darstelle, in eine heftige Debatte über die Stellung der Frau und schließlich auch über die Bedeutung der anderen Symbole geraten seien. Der Atlas-Filmverleih vertreibt den Atommacho als Diskussionsanreger.